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Als Stargardter gehört Stolpern zum Alltag. Bordsteine, Treppenstufen, Wurzeln oder einfach Dinge, die im Flur auf dem Boden liegen, und noch nicht da waren, als ich das letzte Mal da durch ging. Daran und den gelegentlich damit verbundenen blauen Zeh kann man sich gewöhnen. Nur: Man kann nicht nur über Dinge stolpern.

Die Ursache für das Stolpern über Gehsteigränder oder Wurzeln ist zum einen, dass ich sie schlicht nicht oder nicht rechtzeitig sehe. Besonders nachts in der Stadt, bei schlechtem Licht ist nicht immer klar, ob die Linie vor mir nun einen Höhenunterschied markiert oder einfach einen Wechsel in der Oberfläche des Trottoirs. Ich trete dann ins Leere und stolpere. Oder ich erwarte eine Stufe, die nicht da ist, und trete hart auf. Bei schlecht beleuchteten Treppenhäusern, die über einen hellen Bodenbelag verfügen, muss ich die erste Stufe meist erst mit dem Fuss ertasten, weil ich nicht sehen kann, wo sie beginnt. Ein lustiger Sonderfall sind Pfützen: Ich sehe zwar, dass der Boden vor mir nass ist, aber nicht immer, ob es nur einfache Nässe ist oder eine Pfütze mit einer Tiefe. Da ich nicht ständig allen dunklen Flecken ausweichen mag, die vor mir auf dem Boden auftauchen, gehe ich mitten durch. Ist es eine Pfütze, spritzt das Wasser, ist es eine tiefe Pfütze, wird mein Hosenbein nass oder das Wasser läuft in den Schuh. Und ist es gar ein Loch, so stolpere ich.

Nasse Socken oder angestossenen Zehen sind konkrete und vergleichsweise einfache Folgen des Stolperns. Schwieriger abzuschätzen ist das "soziale" Stolpern. Hier gibt es zwei Sorten von Randsteinen oder Löchern. Die erste Sorte ist bekannt als Fettnäpfchen. Da treten wohl alle mal rein, und sie hat wenig mit Sehen oder Nicht-Sehen zu tun. Die zweite Sorte beschäftigt mich mehr. Es sind die Dinge, die ich nicht sehe und deshalb nicht reagiere. Ich stolpere in dem Sinne, dass ich mich nicht so verhalte, wie es angebracht oder üblich ist. Zum Beispiel kann ich  die Aussage "Heute sieht er aber viel besser aus, als das letzte Mal; es geht ihm offenbar wieder besser." ehrlicherweise nicht bejahen oder verneinen. Damit ich den Leuten ansehe, wie es ihnen geht, muss sich ihr Befinden schon sehr deutlich auf ihr Verhalten durchschlagen. Wenn sie über ihre schlechte Stimmung oder Verfassung gut hinweg spielen, habe ich keinen Anlass, mich nach ihrem Wohlergehen zu erkundigen. Augenringe oder bleiche Haut reichen nicht aus, es müsste schon eine heisere Stimme oder gleich die Armschlinge oder die Krücke sein, damit ich was merke. Oder ich kenne die Person wirklich schon so gut, dass mir subtilere Dinge wie eine andere Stimmlage oder eine veränderte Haltung auffallen.

Diese Art des Stolperns wird mir dann  bewusst, wenn andere Leute eine entsprechende Bemerkung über jemanden machen, und ich merke, dass mir wieder mal nichts aufgefallen ist.  Ich frage mich dann manchmal, wo ich  sonst noch überall stolpere, ohne es je zu bemerken ...